#mabb_30: 4 Fragen an Dr. Anja Zimmer

© Falk Weiß

Von 2016 bis 2021 war Dr. Anja Zimmer Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Im Interview anlässlich des 30-jährigen mabb-Jubiläums spricht sie über Meilensteine und Herausforderungen ihrer Amtszeit, über die Relevanz der Landesmedienanstalten und über die Zukunft zeitgemäßer Medienregulierung.

1. Nachfolgerin des Gründungsdirektors: Was hat Sie an der Aufgabe besonders gereizt? 
Der Medienwandel macht auch vor den Medienanstalten nicht halt. Und das heißt ständige Veränderung und Anpassung an neue Aufgaben. Ich mag die Herausforderungen, die mit solchen Veränderungen verbunden sind. Zeiten des Umbruchs bieten viel Spielraum, um Dinge zu gestalten. Das gilt ganz besonders, wenn man das mit einem so tollen Team machen kann, wie es das bei der mabb, ALEX Berlin und dem MIZ Babelsberg gab. Mit so vielen engagierten und kreativen Menschen zusammenzuarbeiten, war mir eine große Freude. 

Wenn Sie sich vor Augen führen, wo die Medienanstalten herkommen, sehen Sie, welchen langen Weg wir gegangen sind: Von Werbeminuten-Begrenzung und der Entscheidung, welche fünf Fernsehprogramme ins Kabelnetz dürfen, hin zu Influencern und der Regulierung von Google, Facebook und Co. ist ziemlich viel passiert. Das mit Leben zu füllen, ist schon für sich eine tolle Aufgabe. 

Was diese ohnehin schon spannende Aufgabe zu etwas ganz Besonderem macht, ist die Verbindung zur Förderung. Regulierung greift ja immer erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Nachrichtenkompetenz oder die praktische Ausbildung, wie sie ALEX Berlin anbietet, kann vorher ansetzen. Nehmen Sie das Beispiel Desinformation, ein Schwerpunkt der mabb in den letzten Jahren. Es ist wichtig, dass Menschen Mittel an die Hand bekommen, damit sie Desinformation erkennen und wissen, wie sie sich wehren können. Von der mabb initiierte Studien haben gezeigt, dass hier einiges im Argen liegt.

2. Was waren die wichtigsten Meilensteine in Ihrer Amtszeit? 
Wir haben in diesen fünf Jahren so viel gemacht: Von der Neuausrichtung der Regulierung über die Intensivierung der Forschung im Media Policy Lab bis zum Umbau der Förderung hin zu Themen wie Nachrichtenkompetenz, Audionutzung oder Vielfalt im ländlichen Raum, Stichwort Smart Village. 

Dazu kam der Umzug von ALEX Berlin in die Rudolfhalle, der ALEX neuen Schwung gegeben hat, und die Neuausrichtung der Innovationsförderung im MIZ Babelsberg hin zu journalistischeren Themen. Auch die engere Zusammenarbeit der beiden Einrichtungen war für mich wichtig. Und natürlich die Kommunikation nach außen. Für viele Menschen ist die Arbeit der Medienanstalten wenig greifbar. Mit Veranstaltungen wie der MediaConvention auf der re:publica konnten wir mit einer interessierten Öffentlichkeit ins Gespräch kommen und unsere Arbeit transparenter machen. 

Wenn Sie mich fragen, was die beiden größten Meilensteine waren, dann sind das sicherlich die neuen Regulierungsaufgaben durch den Medienstaatsvertrag der Länder und die Förderung von Lokaljournalismus. Für beides haben wir sehr gekämpft, denn sie sind essentiell, wenn wir Medienvielfalt erhalten wollen. 

Dabei dürfen wir auch die Arbeit in der Gemeinschaft der Medienanstalten nicht unterschätzen. Effiziente Regulierung und relevante Forschungsvorhaben gehen besser gemeinsam. Als Koordinatorin des Fachausschusses Regulierung und Beauftragte für das Thema Public Value habe ich dabei mitgewirkt, die Medienanstalten fit zu machen für die neuen Aufgaben, die der Medienstaatsvertrag geschaffen hat. Und zu zeigen, dass Medienregulierung auch in föderalen Strukturen funktioniert. 

Mein letztes Jahr als Direktorin war sehr von der Pandemie geprägt. Nach innen ging es hier vor allem darum, Arbeitsfähigkeit zu erhalten und zu schauen, dass uns niemand verloren geht. Und nach außen, hier hat die mabb durch spezielle Förderprogramme lokale Rundfunkveranstalter in dieser herausfordernden Zeit unterstützt.  

3. Warum ist die Arbeit der Landesmedienanstalten auch nach 30 Jahren noch so relevant?
Die Frage nach der Relevanz unseres Tuns müssen wir uns regelmäßig stellen. Wichtigstes Thema ist und bliebt die Medienvielfalt, sie müssen wir auch im Digitalen erhalten. Das geht nicht mit den gleichen Mitteln, wie vor 30 Jahren. Aber es geht, wenn wir dafür die richtigen Strukturen schaffen.

Und hier bringt die mabb etwas ganz Besonderes mit: Die Verbindung von Regulierung auf der einen Seite und Nachrichtenkompetenz- und Journalismusförderung auf der anderen Seite. In einer Zeit, wo wir nicht mehr alles kontrollieren können, ist dieses Zusammenspiel umso wichtiger.

Auch hier ist das Thema Desinformation ein gutes Beispiel, da vieles ineinandergreift: Wir müssen uns im Vorfeld anschauen, wo es Informationsdefizite gibt, etwa weil journalistische Angebote nicht mehr finanzierbar sind. Oder weil sie nicht gefunden oder nicht als solche erkannt werden. Wenn der Markt das nicht allein regelt, kann Förderung helfen. Wir werden uns außerdem überlegen müssen, welche Bedeutung Algorithmen haben, welche Werte in die Programmierung einfließen und wer das entscheidet. Und wenn Maßnahmen im Vorfeld nicht reichen, werden wir uns mit Regulierung beschäftigen müssen, mit journalistischer Sorgfalt, aber auch damit, ob und inwieweit z.B. Desinformation und staatliche Propaganda unter die Meinungsfreiheit fällt und toleriert werden muss.

Solche Fragen können verfassungsrechtlich zwingend nur staatsfern und frei von politischen Einflüssen beantwortet werden.

4. Auf die nächsten 30 Jahre: Was steht an?
Lassen Sie mich auf die nächsten fünf Jahre schauen und schon da finden sich spannende Herausforderungen. Die Fragen sind und bleiben die gleichen: Wie sieht eine zeitgemäße Regulierung aus und was können die Medienanstalten sinnvoll fördern? Und wofür setzen sie ihre Ressourcen ein?

Dazu ein Beispiel: Rundfunkregulierung kommt aus der Zeit, als Verbote einfach durchsetzbar waren und wir gut Spielregeln aufstellen konnten. Das ist heute ungleich schwieriger. Allein die schiere Masse der Anbieter und die Dezentralität des Internets stellen Medienanstalten vor große Herausforderungen. Und dass auf der „Gegenseite“ oft internationale Konzerne mit sehr viel größeren Ressourcen stehen, macht es nicht einfacher. Hier braucht es neuer Wege. Zum Beispiel effizientere und schnellere Verfahren, eine eigene „Regulierungs-KI“ und deutlich mehr Forschung. Denn nur wenn wir die Wissensasymetrie zwischen uns und den großen Plattformen und Intermediären aufbrechen, können wir in der digitalen Welt etwas bewegen.

Das alles geht nicht zum Nulltarif. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Frage, ob Regulierung erfolgreich ist, nicht davon abhängt, bei welcher Institution sie aufgehängt ist. Entscheidend ist vielmehr, dass, wer auch immer es tut, genügend Ressourcen zur Verfügung hat.

Eins ist sicher. Wenn die Medienanstalten sich um digitale Vielfalt kümmern, gegen Hass und Desinformation vorgehen und sich dabei mit den Großen der Branche auseinandersetzen wollen, dann geht nicht ohne dass dafür notwendige Personal. Und nicht ohne Forschungsbudget.