Fake News und Dark Ads: Leben wir im Zeitalter alternativer Fakten?
Ein Gastbeitrag von Alexander Sängerlaub, Projektleiter in der Stiftung Neue Verantwortung
„Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“, sagte der F.A.Z.-Journalist und Gründungsherausgeber Paul Sethe 1965 in einem Leserbrief an den Spiegel. „Heute ist Pressefreiheit die Freiheit von rund drei Milliarden Menschen mit Internetzugang, ihre Meinung ins Netz zu stellen“, ergänzt der österreichische Journalist Armin Wolf 2018 und beschreibt damit den Umbruch, den wir als „digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit“ heute umschreiben.
Diese Veränderung klingt zunächst einmal urdemokratisch und positiv, denn jeder kann heute Teil der (liberal-demokratischen) Öffentlichkeit sein. Vor allem die Sozialen Netzwerke bieten auch denjenigen eine Plattform, die sonst kein Gehör in der Medienlandschaft fänden. Doch die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass vor allem diejenigen Gehör finden und sich am lautesten bemerkbar machen, die nur bedingt Interesse an einem demokratischen Diskurs haben. Gerade rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte sind besonders stark in den Sozialen Netzwerken aktiv und mobilisieren über sie ihre Wähler.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Möglichkeit der direkten Ansprache ohne Filterfunktion der Medien (die abfällig ohnehin als „Fake News“ oder „Lügenpresse“ bezeichnet werden) bietet Raum für die eigene Propaganda – zuweilen auch mit selbst produzierten Fake News wie unsere Studiendaten zur Bundestagswahl 2017 gezeigt haben. Auch die extreme Verkürzung der Diskurse auf Facebook und Co., die Affekte als Reaktion bestärken und eine pluralistische Informationsaufnahme eher behindern (Stichwort „Echokammer“), sind Schattenseiten der Netzwerke. Das viel beschworene Fact-Checking kann dabei als Mittel gegen Desinformation eher wenig bewirken, auch das zeigen unsere Analysen.
Das große Rauschen unendlich wirkender Informationsangebote im Netz fordert seinen Nutzern neue Kompetenzen ab. Welche Information ist vertrauenswürdig? Wie lassen sich Fakten von Fakes sauber trennen? Wie recherchiere ich die Güte einer Information im Netz? Vor allem in Zeiten, in denen nur wenige bereit sind, für gut gemachten Journalismus auch zu bezahlen. Die damit zusammenhängende Krise des Journalismus, der noch immer nach funktionierenden Geschäftsmodellen im neuen digitalen Zuhause sucht, trägt ihr übriges zur Fake-News-Debatte bei. Sparzwänge in den Redaktionen verstärken den Druck, der auf jedem Einzelnen in den Redaktionen lastet. Ungenauigkeiten und Fehler der klassischen Medien und Nachrichtenagenturen sorgen daher für die großen Aufreger und „Fake News“, die auch außerhalb der rechten Filterblase Eingang in die Öffentlichkeit finden wie die Daten unser Studie zur Bundestagswahl zeigen. Dass da auch die Sozialen Netzwerke nicht die besten Orte zur Rezeption von Nachrichten sind, gestand sogar Facebook indirekt ein und passte seinen Newsfeed-Algorithmus dieses Jahr so an, dass weniger Nachrichtenangebote erscheinen.
Darüber hinaus nutzen heimische und auch ausländische Akteure und Regierungen die Lücken, die sich in den heutigen, globalen Kommunikationsräumen auftun. Darunter beispielsweise die Frage, wer, wie und mit welchen Inhalten bei Facebook politische Werbung schalten darf. Die Beeinflussung durch gezielte personalisierte nicht sichtbare Werbung in den Netzwerken, welche die Wörter „Dark Ads“ und „Microtargeting“ beschreiben, wird vor allem in den USA und Großbritannien noch heiß diskutiert. Macht man sie doch mit dafür verantwortlich, dass Trump ins Amt gekommen ist und die Briten die EU verlassen wollen. Doch allen unlauteren Einflussversuchen von Innen und Außen zum Trotz nutzen populistische Kräfte vor allem die Schwäche der Medien und die Stärke der Netzwerke und verbreiten so ihre Narrative auch ganz legal, um Einfluss zu generieren.
Die bisherigen Antworten unserer liberal-demokratischen Gesellschaft darauf sind noch zu leise. Wie machen wir die Menschen fit für die digitale Welt der Information und steigern ihre Medienkompetenz? Welche zeitgemäßen Modelle schaffen es, Menschen dazu zu bewegen, für gute Informationen auch wieder zu bezahlen? Welche politischen Antworten finden wir auf die Probleme der Leute, die sich aus tief sitzendem Frust den Sirenengesängen der Populisten in den sozialen Netzwerken und außerhalb hingeben? Bis dies geklärt ist, werden uns alternative Fakten noch lange begleiten.
Alexander Sängerlaub leitet das Projekt „Desinformation in der digitalen Öffentlichkeit“ im Berliner Think Tank Stiftung Neue Verantwortung. Der studierte Journalist und Kommunikationswissenschaftler untersucht mit seinem Team die Herausforderungen, die das digitale Medien- und Informationsökosystem für demokratische Prozesse darstellt.