mabb unten  links zettel
mabb oben  rechts bleistift

#MCB19: Audioboom im Internet – Chancen und Risiken für Nutzer und Anbieter


„Video killed the radio star“ sang die britische Pop-Band The Buggles 1980, also zu einer Zeit, als das Internet noch weit davon entfernt war, ein Massenmedium zu werden. Damals dachte niemand daran, dass gut 40 Jahre später Audio einen wahren Boom erleben würde, wenn auch in deutlich veränderter Form: zeitunabhängig, on-demand, ganz nach den eigenen thematischen Vorlieben, über mobile Geräte oder per Sprachzuruf hören Nutzer heute Inhalte. Möglich macht das in erster Linie das Internet. Aber auch moderne Geräte wie digitale Sprachassistenten und neue Angebote wie Podcasts spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Audio im Netz: Nicht mehr ganz neu, aber noch in den Kinderschuhen
Den Trend zu Audio im Netz hat das Podcastlabel und Onlineradio Detektor.fm früh erkannt. Auf der MEDIA CONVENTION Berlin 2019 erinnert sich Christian Bollert, Managing Director: „Als wir vor ungefähr zehn Jahren angefangen haben, war unser Livestream deutlich beliebter als die Podcasts. Heute wird Radio on demand in Form der Podcasts immer wichtiger. Die Nutzerzahlen steigen um 40 bis 50 Prozent pro Jahr“.

Kein Wunder, dass sich auf diesem Feld auch immer mehr klassische Medien tummeln. RTL Radio Deutschland beispielsweise will jedem Hörer jederzeit das geben, was er sich gerade wünscht. „Wir stehen noch ganz am Anfang dieser Transformation“, sagt Christian Schalt, Chief Digital Content Officer. Aber immerhin können Hörer bei Arno und die Morningcrew  zwischen dreierlei Musikstilen wählen – während die Wortbeiträge gleich bleiben. Das ist zumindest ein erster Schritt in Richtung eines individualisierten Angebots. Doch in Zukunft könnte da noch deutlich mehr möglich sein.

Die neue Lust am Hören

Dr. Kristian Kunow, stellvertretender Direktor der mabb, hat Zahlen, Daten und Fakten rund um das Medium Audio zusammengetragen:

  • Rund 4 Stunden hören die Deutschen am Tag Radio – zum Beispiel im Auto, wenn sie im Stau stehen, aber online auch in Bus und Bahn.
  • 58 Prozent der Deutschen hören bereits Online-Audio-Angebote, wie Webradio, Musikstreaming oder auch Podcasts
  • 77 Prozent der Online-Audio-Nutzer hören die Angebote unterwegs, die meisten im Auto oder Bus und Bahn. Viele aber auch beim Sport oder im Flugzeug.
  • Podcastnutzer bevorzugen dabei „schwere Kost“: Nachrichten zu Politik und Zeitgeschehen. Erst auf Platz 2 ihrer Vorlieben landet Musik, Platz 3 geht an Sendungen zu Wissen und Technik.
  • 37 Millionen Deutsche wissen, was ein Smartspeaker ist. 9 Millionen besitzen bereits einen.
  • 87 Prozent nutzen über den Smart Speaker Radio-Angebote. Von durchschnittlich 133 Minuten täglicher Smart-Speaker-Nutzung entfällt der größte Anteil mit 112 Minuten auf Musik und Radio hören.


Was Smartspeaker schon können – und was nicht
Smartspeaker wie Alexa von Amazon oder Assistant von Google machen schon mehr möglich, als viele jemals gedacht hätten: „Das sind gute Geräte“, sagt Christian Schalt. „Sie sind per Sprachsteuerung einfach zu bedienen.“ Da allerdings liegt auch die Krux. Tilmann Böhme, Gründer von „Future of Voice“, produziert Anwendungen für die Smartspeaker. Diese kleinen Programme heißen bei Amazon Skill, bei Google Action. Das Problem dieser Anwendungen: „Auf dem Smartphone sehen wir die Apps immer vor uns. Bei den Smartspeakern müssen wir genau wissen, mit welchem Befehl wir welche Anwendung öffnen können.“ Und das ist gar nicht so einfach. Das Risiko lauert dabei in Form der Bequemlichkeitsfalle: Möglicherweise benutzt man immer nur dieselben Anwendungen, und bekommt gar nicht mit, dass es neue und bessere Skills und Actions gibt – oder man vergisst, was man installiert hat, oder wie man dieses Programm aktiviert.

Fluch und Segen der Voreinstellungen
Für eine einfache Nutzung sind darum die Voreinstellungen der Geräte ein Segen – zumindest auf den ersten Blick.  „Allerdings wird durch sie auch die Vielfalt bedroht“, sagt Dr. Anja Zimmer, Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb). Wer gewillt ist, sich sein persönliches Hörerlebnis zu schaffen, der muss sich zunächst mit der Technik hinter dem Gerät  auseinandersetzen. Und das geht nicht ohne Medienbruch, denn die Skills von Alexa, dem klaren Marktführer, muss man via App oder Internet suchen und aktivieren. Nehmen wir als Beispiel den Radiosender RadioEins des rbb. Wer bei Alexa in der App oder im Web nur nach „Radio 1“ sucht, bekommt vom Norddeutschen Rundfunk über den Schweizer Rundfunk bis zu Hit Radio 1 eine ganze Menge angezeigt. Aber nur die Suche nach „Radioeins des rbb“ führt zum richtigen Ergebnis.

„Findet Alexa den richtigen Radiosender, landet man automatisch beim Radionetzwerk TuneIn aus den USA, über das man weltweit über 100.000 Radiosender hören kann. „Es gibt auch andere Anbieter, über die man Radio hören könnte“, sagt Anja Zimmer. Doch dem Nutzer wird hier erst einmal keine Wahl gelassen. Auch ein Thema: Wenn Alexa den Nutzer nicht versteht, landet er schnell bei eigenen Angeboten, also z.B. bei Amazon Music – „also immer beim Anbieter. Und das trägt nicht unbedingt zu mehr Vielfalt bei“. Eine Alternative? „Die Geräte sollten passende Vorschläge für andere Angebote machen, oder immer wieder einmal darauf hinweisen, dass man seine Einstellungen auch verändern könne. Zwar sei es sicherlich bequem, sich im Amazon Universum treiben zu lassen, „aber dann bewegt man sich in einer kleinen Welt“, sagt Anja Zimmer. Das alles sollte man aber nicht allein dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Um Vielfalt zu sichern, ist Regulierung notwendig. Transparenz und Diskriminierungsfreiheit sind hier die Schlagworte. Bei Sprachassistenten ist das besonders wichtig: Default-Einstellungen, Voreinstellungen, Umgang mit eigenen Inhalten, all das hat eine große Bedeutung für die Auffindbarkeit und damit letztlich für die Vielfalt.

Wie sicher sind meine Daten?
Natürlich gibt es auch eine Menge Skepsis gegenüber den neuen Geräten. Schließlich hört man immer wieder von belauschten und dokumentierten privaten Gesprächen und somit von mangelndem Datenschutz. Tilmann Böhme sagt dazu: „Alle haben ein Smartphone in der Tasche, das wahrscheinlich ein Mikrofon hat. Ein Smartphone ist angreifbarer als diese doch sehr einfachen Smartspeaker. Trotzdem sind die Plattformen in der Verantwortung, für den Nutzer transparent zu machen, wann das Gerät zuhört. Sie müssen klare Möglichkeiten bieten, Gespräche zu löschen und aufzeigen, welchen Weg die Daten nehmen.“

Was die Zukunft bringen wird
Sicher ist: Die Smartspeaker werden besser werden. „Allerdings“, so Tilmann Böhme, „müssen dazu auch die richtigen Inhalte geliefert werden.“ Detektor.fm ist sich dessen bewusst: „Wir denken derzeit über ein Angebot nach, bei dem der Nutzer mit uns interagieren kann“, sagt Christian Bollert. Will der Hörer also während des Streams mehr zu einem Thema erfahren, soll er direkt per Sprachbefehl zu diesen weiteren Informationen steuern können. Grundlage dafür ist jedoch einerseits, dass Inhalte besser auffindbar sind, andererseits auch, dass das Sprachverständnis der Geräte besser wird. Dazu bedarf es jedoch etwas Geduld: „Wir befinden uns wirklich noch am Anfang einer Entwicklung“, sagt Tilmann Böhme.

Smart Audio braucht Smart Regulation

Um Vielfalt zu erhalten, müssen diskriminierungsfreier Zugang sowie chancengleiche und angemessene Bedingungen für Anbieter sichergestellt werden. Plattformbetreiber dürfen eigene Inhalte nicht bevorzugen, Voreinstellungen und Fallback-Lösungen nicht zu einer faktischen Diskriminierung führen. Das muss für digitale Medienplattformen ebenso gelten wie für Benutzeroberflächen, Intermediäre und Geräte, die vor allem bei der jüngeren Zielgruppe bereits heute zum alltäglichen Medieninventar gehören. Außerdem muss Auffindbarkeit gewährleistet werden. Denn nur Inhalte, die gefunden werden, tragen zur Meinungsvielfalt bei. Ob sich hier klare Spielregeln finden, wird mit darüber bestimmen, wie sich der extrem vielfältige, durch seine Lokalität und Regionalität aber oft auch kleinteilige Radiomarkt in der digitalen Zukunft entwickeln wird. Hier ist der Gesetzgeber gefordert.

zurück zur Übersicht